• 03.04.2024
      16:00 Uhr
      Einsatz Litauen Wie die NATO im Ernstfall gegen Russland kämpft | phoenix
       

      Es ist das größte der drei baltischen Länder – und dennoch militärisch alleine machtlos im Fall eines Angriffs aus dem Osten. Bereits früh nach seiner Unabhängigkeit hat Litauen deshalb den Schutz der NATO gesucht. Seit dem Russland-Ukraine-Krieg steigt auch an der Nordostflanke des Verteidigungsbündnisses die Anspannung spürbar. In seiner Reportage richtet Oliver G. Becker für phoenix den Blick auf eine historisch, strategisch und verteidigungspolitisch ebenso aufgeladene wie fragile Region Europas.

      Mittwoch, 03.04.24
      16:00 - 16:45 Uhr (45 Min.)
      45 Min.
      Stereo

      Es ist das größte der drei baltischen Länder – und dennoch militärisch alleine machtlos im Fall eines Angriffs aus dem Osten. Bereits früh nach seiner Unabhängigkeit hat Litauen deshalb den Schutz der NATO gesucht. Seit dem Russland-Ukraine-Krieg steigt auch an der Nordostflanke des Verteidigungsbündnisses die Anspannung spürbar. In seiner Reportage richtet Oliver G. Becker für phoenix den Blick auf eine historisch, strategisch und verteidigungspolitisch ebenso aufgeladene wie fragile Region Europas.

       

      2016 beschließt die NATO auf ihrem Gipfel in Warschau, ihre Ostflanke in Polen und im Baltikum zu stärken. Nach dem Angriff Russlands in der Ost-Ukraine und der Annexion der Krim im Jahr 2014 war bei den östlichen Bündnispartnern die Sorge vor einer Invasion durch Putins Armee stetig gewachsen. Vor diesem Hintergrund installierte die NATO in den drei baltischen Staaten und Polen jeweils eine sogenannte „Battle Group“, einen Kampfverband von bis zu 1.200 Soldatinnen und Soldaten, der die Streitkräfte der Gastländer verstärken soll. Während Kanada, die USA und Großbritannien diese Battle-Groups in den drei Nachbarländern führen, übernimmt Deutschland diese Aufgabe in Litauen seit 2017. Der aktuelle Kontingentführer, Oberst Klaus-Peter Berger, verweist im Interview auf einen Vergleich zur Situation Deutschlands im Kalten Krieg: „Wir hatten die Alliierten bei uns stationiert, um uns zu schützen. Und jetzt sind wir hier an der NATO-Ostflanke und zahlen ein bisschen das zurück, was wir vorher als Sicherheit bekommen haben von unseren alliierten Partnern.“

      Nach der Ankündigung von Bundeskanzler Scholz im Sommer 2022 wird die Bundeswehr zum Schutz Litauens zusätzlich eine Brigade von 4.000 Kräften entsenden, die ab 2026 dauerhaft im Land stationiert werden soll. Die „enhanced Vigilance Activities Brigade“, kurz „eVa Brigade“, gilt als bilaterale Maßnahme zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des baltischen Landes. Dazu sagt Litauens Präsident Gintanas Nausėda im Film: „Jetzt müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Wir brauchen etwas Zeit, um die nötige Infrastruktur zu bauen: Unterkunft, Übungsplätze. Aber wir beschleunigen das Verfahren und wollen die komplette Brigade bis 2026 hier begrüßen.“

      Wie umfangreich und intensiv sich die Bundeswehr in Litauen engagiert, wird am vielschichtigen Berufsalltag der Männer und Frauen in der efp Battle Group deutlich: „Es geht um ganz schnelle Abläufe, die einfach beherrscht werden müssen, mit einem Eigenanspruch, der ganz weit oben sein muss, ein-fach um am Leben zu bleiben“, sagt Hauptfeldwebel „Victor“, Zugführer des „Delta“ Panzergrenadierzugs. Mindestens 1.200 Stunden harten Trainings seien notwendig, bevor die verschiedenen Truppen-teile im Gefecht wirklich gut zusammenarbeiteten. Und nachdenklich, aber entschlossen, ergänzt Hauptfeldwebel „Felix“, Zugführer Panzerzug „Charlie“: „Jedem einzelnen hier (…) ist bewusst, was er hier tut, und worauf es im schlimmsten Fall auch ankommen würde.“

      Einen weiteren Auftrag der NATO Battle-Group Litauen verdeutlicht der Kommandeur des efp Kampfverbandes, Oberstleutnant Andreas Kirchner: „Die abschreckende Wirkung von Kampfpanzern, das ist genau unser Auftrag hier. Eine glaubhafte Abschreckung vor allem auch zeigen, das machen wir mit dem Waffensystem Leopard 2A6 und den Schützenpanzern. Denn ohne dieses Waffensysteme wäre die Abschreckung nur eine „Papier-Abschreckung“, die nicht glaubhaft ist.“

      Einzigartige Originalaufnahmen und aufschlussreiche Interviews von Augenzeugen verweisen in der Reportage auf eine ganz besondere Bedrohung, die erstmals im Sommer 2021 weltöffentlich wurde: eine besorgniserregende Form „hybrider Kriegsführung“ des belarussischen Regimes von Alexander Lukaschenko, der die EU zu destabilisieren versuchte, indem er zahlreiche Flüchtlinge aus dem Irak, Iran, Syrien und Afghanistan über die Grenze nach Litauen einschleuste.

      Dass sich Litauen längst von seiner Geschichte als Sowjetrepublik emanzipiert hat, beweist eine Gene-ration junger Männer und Frauen, die im freien Litauen aufgewachsen sind, und die sich in Interviews eindeutig zu Meinungsfreiheit, europäischen Werten, „Life-Style“ und Freiheit in der EU bekennen. Wie wehrhaft und widerstandsfähig Litauens Bevölkerung wirklich ist, wie sehr sie bereit ist, ihre Freiheit zur Not auch mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, dokumentiert der Film auch beim Besuch der so genannten Riflemen Union, einer paramilitärischen Organisation, deren Gründung in Kaunas auf das Jahr 1919

      zurückgeht. Mit Zuversicht und Engagement beschreibt Oberst Linas Idzelis die Bereitschaft der Riflemen Union zur Landes- und Bündnis-Verteidigung: „Wir unterstehen durch das Verteidigungsministerium direkt der Regierung Litauens, die unsere Zusammenarbeit mit dem litauischen Militär und der Gesellschaft koordiniert. Wir sind hier alle Patrioten. Aber Patriotismus fällt nicht vom Himmel!“

      Detailreich weist Militärexperte und Historiker Prof. Sönke Neitzel auf die besondere geopolitische Situation und die Militärgeschichte Litauens hin, erläutert das konfliktreiche, skeptische Verhältnis des baltischen Staates zum großen Nachbarn Russland: „Litauen ist die erste sowjetische Teilrepublik, die sich für unabhängig erklärt, im Januar 1991, also noch vor Estland, vor Lettland vor der Ukraine. Der Wunsch nach Freiheit ist durch all diese wechselvollen Geschichten im 20. Jahrhundert nicht erstickt worden.“

      Und Reinhard Veser, FAZ-Politikredakteur, Buch-Autor und Litauen-Experte, berichtet über ein Gespräch mit einem Kommandeur der paramilitärischen Organisation "Riflemen Union“ in Marijampolé. Der als Verteidigungsfachmann seines Landes bekannte Kommandeur habe über seine Lehren aus der Geschichte gesagt: „Wenn du von einem großen Nachbarn überfallen wirst, musst du dich entscheiden: Kapitulieren oder Widerstand leisten!“ Litauen habe 1940 keinen Widerstand geleistet. Das Ergebnis sei gewesen, dass die litauische Armee nicht im Kampf mit Russland ums Leben gekommen sei, sondern im Gulag. Das werde kein zweites Mal passieren.

      Welche Maßnahmen ergreift die NATO, um die östlichen Bündnispartner im Fall eines russischen Angriffs zu schützen? Welche Rolle spielt die Bundeswehr in dieser sensiblen Region? Wie wird der russische Angriffskrieg auf die Ukraine von Politik, Militärs und Bevölkerung in Litauen wahrgenommen? In seiner Reportage geht Oliver G. Becker für phoenix diesen Fragen an der Nordostflanke des Verteidigungsbündnisses nach.

      Film von Oliver G. Becker

      Wird geladen...
      Wird geladen...
      Mittwoch, 03.04.24
      16:00 - 16:45 Uhr (45 Min.)
      45 Min.
      Stereo

programm.ARD.de © rbb | ARD Play-Out-Center || 05.05.2024